Masematte (Auszug entnommen aus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Masematte#cite_ref-2
Die Masematte ist ein regionaler Soziolekt aus den Elendsvierteln von
Münster, der zu den Dialekten des Rotwelschen gehört. Masematte ist seit
1870 quellenmäßig belegt und ist in seiner ursprünglichen
sondersprachlichen Funktion seit der Zeit des Zweiten Weltkrieges wegen
der Verfolgung und Ermordung der Sprecher und der Zerstörung der
Stadtviertel weitgehend verschwunden. Masematte wird jedoch im Rahmen
lokaler Traditionspflege immer noch praktiziert und hat auch den
Wortschatz der örtlichen Umgangssprache geprägt.
Name
Im Rotwelschen, der seit dem Spätmittelalter entstandenen Sondersprache
des Fahrenden Volks, ist das Wort Masematte mit Varianten Massematte(n),
Masemotten, Massemaite bereits seit dem 18. Jahrhundert bezeugt. Der
älteste Beleg von 1750 (als Femininum Massematte) stammt aus dem
Zuchthaus Sankt Georgen am See im Fürstentum Brandenburg-Bayreuth. Es
geht zurück auf jiddisch masso umatan („Handel, Handelsbetrieb“, von
hebräisch massa u'matan „Verhandlungen“) und nahm im Rotwelschen
zusätzlich und vorrangig die Bedeutung „Diebstahl, Einbruchdiebstahl“ an
(masematte-betook: gewaltsamer Einbruch, bei dem man die Bewohner des
Hauses „bindet und raitelt“; zierliche Masematten: Einbruch bei
schlafenden Hausbewohnern; betuchter Masematten: Diebstahl ohne Lärm).
In der Münsteraner Masematte bedeutet das Wort „Sprache“
(Masemattefreier: Sprecher dieser Sprache, Mitglied der
Sprechergemeinschaft), es hat aber auch dort noch die zusätzlichen
Bedeutungen „Handel, Hausiererei“ beibehalten.
Wortschatz
Es handelt sich um einen schichtenspezifischen Sonderwortschatz von rund
500 Wörtern, der von seinen Sprechern in Verbindung mit der ortsüblichen
Umgangssprache gesprochen wurde. Der Wortschatz der Masematte ist ein
Rotwelsch mit starkem Anteil von Jiddisch (Westjiddisch) und, in etwas
geringerem Maße, Romani (bzw. Sintitikes), greift aber auch
westfälisches Wortgut auf und zeigt Spuren slawischer und romanischer
Einflüsse sowie bei pseudo-lateinischen Bildungen (Suffigierung mit -us)
möglichen Einfluss der Studentensprache.
Sprecher
Masematte wurde vorwiegend von Männern und vergleichsweise selten von
Frauen gesprochen und war hauptsächlich in vier Stadtgebieten präsent:
dem Kuhviertel (u. a. Tasche, Brink, Ribbergasse),[1] dem
Sonnenstraßenviertel, Pluggendorf und „Klein-Muffi“ (Herz-Jesu-Viertel).
Die Bewohner zählten zur sozialen Unterschicht und waren Arbeiter oder
Hilfsarbeiter, kleine Gewerbetreibende und Händler, darunter viele Vieh-
und Pferdehändler und Vertreter ambulanter Gewerbe, mit einem hohen
Anteil an Juden und Roma (Sinti). Masematte diente den Sprechern zur
Abschirmung gegen Außenstehende bei Handel und Geschäft wie auch
gegenüber Polizei und Obrigkeit, außerdem als Mittel der Integration
untereinander und Ausweis der eigenen Gruppen- oder Milieuzugehörigkeit.
Zeit des Nationalsozialismus
Während der Zeit des Nationalsozialismus waren Sprecher der Masematte
aufgrund ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft von der
nationalsozialistischen Verfolgungspolitik gegen „Asoziale“, Juden und
Roma betroffen. Eine 1937 erschienene rassenhygienische Untersuchung,
die eine aus dem westfälischen Kreis Meschede stammende „asoziale Sippe“
mit Vertretern vorwiegend ambulanter Berufe untersuchte, bezog hierbei
auch Familien und Probanden aus den typischen Masematte-Quartieren in
Münster mit ein und kam im Ergebnis zu der Empfehlung, dass die
Angehörigen dieser „Sippe“ wegen erblicher Minderwertigkeit sterilisiert
und in „frühzeitige Bewahrung“ genommen werden sollten.[2] An Maßnahmen
gegen Bewohner des Kuhviertels erinnerte sich später ein Zeitzeuge für
die Jahre 1941 bis 1943, demzufolge „fast alle Bewohner der Tasche,
Brink und Ribbergasse, ganze Familien verfrachtet und in Lager
abtransportiert“ wurden.[3] Als Folge der großflächigen Bombardierung
Münsters und seiner Altstadt im Rahmen der alliierten Luftangriffe waren
zudem mit dem Verlust der traditionellen Wohnviertel gegen Ende des
Krieges auch wesentliche äußere Bedingungen für das Fortleben der
Sprache verschwunden.
Nachleben
Die traditionelle Masematte in ihrer sozialen Gebundenheit gilt heute
als weitgehend ausgestorben und wird nur noch durch wenige überlebende
Zeitzeugen repräsentiert. An ihre Stelle ist eine angelernte
„Sekundärmasematte“ (Siewert) getreten, die schichtübergreifend im
Karneval und lokalen Journalismus sowie in studentischen und
jugendsprachlichen Milieus kultiviert wird. Das hat zur Entstehung
schriftlicher und literarischer Texte in Masematte geführt, wie sie für
die ältere Zeit der offenbar rein mündlichen Masematte-Kultur nicht
belegt sind. Eine größere Zahl von Masemattewörtern ist außerdem zum
Gemeinbesitz der lokalen Umgangssprache geworden. |
Beispiele:
achilen: „essen“ (rotw. acheln „essen“ < jidd. achlen, auchel sein
„essen“)
Alschke, auch Alsche, Olsche: „Frau, Ehefrau, Alte“ (aus westfäl.
a(o)lske „Alte“, olle „Alte“)
Am Tokus malochen: „Am Arsch lecken“ (mit lateinischem Suffix -us
gebildet aus rotw. Toches „Hintern“ < jidd. tachas „der Hintere,
Untere“, und rotw. Maloche „schwere Arbeit“ < jidd. meloche, maloche
„Arbeit“)
Beis: „Haus“, Burkbeis: „Arbeitsamt“ (rotw. Bajis, Bajes, Bais etc.
„Haus“ < jidd. bajis, bes „Haus“; zu Burk- vgl. dt. Burg, Bürger-,als
Zahlwort: "zwei")
bekan „da, hier, dabei“, bekanein: „Ok, in Ordnung“ (vgl. rotw. bekanum,
bekane „hier“, aus jidd. kaan, bekaan „hier“)
beribbeln: „bezahlen“ (vgl. rotw. Reiber „Beutel, Geldsack“,
Reiberfetzer „Beutelschneider“, aus lat. raupa „Fell, Haut“)
beschucken: „bezahlen“, Schuck „Mark (Geld)“: (aus rotw. schucken
„bezahlen“ < jidd. schuck „Mark, Geldstück“)
beseibeln: „betrügen“ (rotw. besefeln „bescheißen“, sefeln „scheißen“,
Sefel „Kot“ < jidd. sewel „Kot“, vgl. dt. ugs. einseifen „betrügen“)
bicken: „kaufen“, bikinen: „verkaufen“ (rotw. biken „kaufen“ < romani
bikin- „verkaufen“)
Bölkenpani: „Rülpswasser“ (= Mineralwasser, aus masem. bölken „rülpsen“
< dt. bölken „brüllen, bellen“, und masem. Pani „Wasser“ < rotw. Pany
„Wasser“ < romani pani „Wasser“)
Bose: „Fleisch“ (rotw. Bossor „Fleisch“ < jidd. bossor „Fleisch“)
jovel „gut“ (rotw. jofe „schön, angenehm, hübsch“ < jidd. jophe „schön“)
Kabache: „Haus“ (norddt. Kabache „niedriges, schlechtes Haus“, vgl.
rotw. Klabache „verwahrlostes Haus, schäbiges Zimmer“, Klappache
„Stube“)
Keilof: „Hund“ (rotw. Kelef, Keilef, Keilov u. a. m. „Hund“ < jidd.
kelew „Hund“, plur. kelowim „Hunde“)
Kippesfreier: „Gehilfe“ (rotw. Kippe „Gemeinschaft, Beute, Anteil“ <
jidd. kübbo „Kammer, Schlafkammer, Zelt“; und rotw. Freier „Mann,
Bursche“, ursprünglich vielleicht „Bauer“, häufig das ausersehene Opfer,
der Kunde der Dirne)
kneistern: „schauen“ (rotw. kneissen „wahrnehmen, bemerken, wissen“ <
bayr. geneißen „wahrnehmen“)
Koten: „Kleine(r), Kind“, koten: „klein“ (rotw. Kotem „Kind“, koton,
koten „klein, jung“ < jidd. koton „klein“)
Kotenmoos: „Kleingeld“ evtl. Sekundärmasematte
Laumalocher: „fauler Arbeiter“, Laumann: „Faulenzer, Betrüger“ (vgl.
rotw. lau „nein, nichts“ < jidd. lo, lau „nichts, nein, ohne“)
Leeze: „Fahrrad“ (Herkunft ungeklärt, eventuell aus Velociped „Fahrrad“)
Lichte: „Stress“ (vgl. rotw. Licht „Polizei“, Lampe „Polizei“ < jidd.
lamdon „Gelehrter, Wissender“)
Lowi: „Geld“ (rotw. Lowo, Lowe, Lowi „Geld“ < romani lóvo „Geld“, plur.
lóve)
Lowine: „Bier“ (rotw. Lovina, Lowine, Luwina „Bier“ < romani lowina
„Bier“)
Matrele: „Kartoffel“ (rotw. Matrellen „Kartoffeln“, Matreli „Kartoffel“
< romani matreli „Kartoffel“)
Newes: „Bauch“ (rotw. Nefesh „Seele, Leben“, Nevisch „Seele, Bauch“, von
jidd. nephesch „Seele, Leben“)
Osnick: „Uhr, Armbanduhr“ (rotw. Osne, Ossene, Ossnik „Uhr“) eigentlich
"Sonne, Sonnenstand" daraus die Info wie spät es ist. "Was reunt der
Osnick?" = was zeigt der Sonnenstand?
Patte: „Geldbörse“ (vgl. rotw. Patter „Leder“ oder Positi, Patist,
Potissa „Tasche“ < romani potisa „Tasche“)
pien: „Alkohol verzehren“
Plempe: „Säbel, Degen, Messer“, fraglich „Polizei“ (vgl. rotw. Plempe
„Säbel“)
Plinte: „Hose“ (vgl. rotw. Plinten „Lumpen“)
plümpsen: „schwimmen“ (vgl. rotw. Plomp „Wasser“, plümsen „weinen,
waschen, baden“)
Primangelo: „Zigarette, Zigarre“ (rotw. Bimangeri „Zigarette“ < romani
pimaskeri „Zigarre“)
Schickermann: „Betrunkener“ (rotw. schickern „trinken“ < jidd. schikkern
„sich betrinken“, schikkor, schikker „Betrunkener“)
schmusen: „erzählen“ (rotw. Schmus „Erzählung, Plauderei, Geschwätz“,
schmus(s)en „erzählen“, jidd. schmuo „Gehörtes, Erzählung, Gerücht“)
schofel, schovel: „schlecht, mies, gering, übel, niedrig“ (rotw. schofel
„minderwertig, gemein, schlecht, wertlos“ < jidd. schophol, schophel
„gering, niedrig, schlecht“)
Seeger: „Mann, Kerl“ (rotw. Seeger geringschätzig „Junger Mann“, Seege
„junges Mädchen“), Herkunft unsicher, eventuell von jidd. se goi
„Nichtjude“, vgl. auch altenglisch secg „Mann“, „Krieger“ (secg)
Tiftel: „Kirche“ (rotw. Tiffle „Kirche“ < jidd. tephillo „Gebet“) |